Waltraud Wieser
Sie sei ein Mensch für Menschen, sagt Waltraud Wieser. Die Seniorchefin des 4-Sterne-Hotels Armentarola in St. Kassian in Alta Badia hat Staatsoberhäuptern Wein eingeschenkt, misslaunigen Menschen Mut zugesprochen und kranken Gästen Tee gebracht. Obwohl sich vieles wandelt, blickt die 74-Jährige Frau mit Zuversicht in die Zukunft.
Wie haben Sie die Aufgaben mit Ihrem Mann geteilt?
Waltraud Wieser: Wir haben uns gegenseitig unterstützt, waren kritisch und konstruktiv, haben die Aufgaben gut geteilt und uns laufend abgesprochen. Wir wussten, was beim anderen gerade wichtig ist. Eine intakte Familie tut sich leichter, ein Hotel zu führen.
Ihre Schwiegermutter Emma Wieser war über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Wie sind Sie damit umgegangen?
„Lehrjahre sind keine Herrenjahre“, heißt ein altes Sprichwort. Es war ein Glück, dass die Schwiegereltern im Haus waren, als ich hergekommen bin. Ich konnte viel lernen und unsere Kinder in den ersten Jahren gut in die Welt begleiten. Ich habe meine Schwiegermutter im Büro unterstützt und mitbekommen, wie es läuft. Meine Arbeit habe ich immer geliebt, nie darunter gelitten.
Wie führen Sie?
Um Arbeit delegieren zu können, muss man die Arbeit kennen, die man zuteilt. Ich habe gelernt, Betten perfekt zu machen, Silber zu putzen, Putztücher auszuwringen, ohne Dreck zu schmieren, ich habe kochen, dekorieren, buchführen gelernt. Gerechtigkeit ist mir ein großes Anliegen. Ich habe unsere Mitarbeiter/innen immer ganzheitlich und als Menschen gesehen, habe mir ihre Anliegen angehört, mich mit allen besprochen und gefragt, was wir gemeinsam verbessern können. Jeder Mensch hat Schwächen, man kann nicht alles können. Ich habe eigene Fehler eingestanden, die Sorgen der Mitarbeitenden erfahren, mit ihnen diskutiert, Konflikte geschlichtet, vermittelt und ausgeglichen.
Welche Herausforderungen sind in der Gastronomie zu erwarten?
Die heutigen Mitarbeiter/innen sind nicht mehr bereit, so viel zu arbeiten wie früher. Man muss mehr Schichten einplanen, es bedarf mehrerer Arbeitskräfte und somit auch viel mehr Unterkünfte. Die Belegschaft ist internationaler geworden. Bei uns arbeiten Menschen nicht nur aus Südtirol und Italien, sondern auch aus Ost- und Südosteuropa sowie Indien. Das verlangt interkulturelles Verständnis.
Ihr Sohn Toni führt das Hotel jetzt mit seiner Frau weiter. Wie ist es Ihnen bei der Übergabe gegangen?
Jetzt kann ich nicht mehr Anweisungen erteilen, jetzt muss ich fragen. Voraussetzung sind Respekt und Toleranz. Nach der Übergabe mussten wir den Jungen die Freiheit lassen, selbst zu entscheiden. Nur ein junger Mensch spürt, was gebraucht wird, kann neue Konzepte entwickeln. Was früher gut ging, geht heute nicht mehr. Meine Sicht ist nicht mehr wichtig, es braucht neue Visionen und neue Technik. Ich wohne neben dem Hotel in meiner Wohnung, genieße die Zeit und freue mich, wenn ich noch manchmal gerufen werde.
Kurzbiografie
Armentarola heißt in Ladinisch Großviehsammelplatz. Bis in die 1930er-Jahre grasten an dem Ort in Alta Badia im südlichen Gadertal Rinder und andere Nutztiere. Heute steht auf dem Platz im Bergdorf St. Kassian das 4-Sterne- Hotel Armentarola.
Waltraud Mutschlechner ist 1950 in Bruneck geboren, dort aufgewachsen und hat in Meran die Hotelfachschule besucht. 19-jährig kam sie als Büroangestellte ins Hotel Armentarola und heiratete zwei Jahre später Franz Wieser. Ab 1983 bauten Waltraud und Franz Wieser das damals 90-bettige Gästehaus mit Einsatz in ein erstklassiges 4-Sterne-Hotel um. Bis zum Tod von Franz Wieser am 18. Dezember 2023 waren Waltraud und ihr Mann ein gutes Gespann und prägten ihren eigenen Stil ladinischer Gastfreundschaft. Jetzt führt ihr jüngster Sohn Toni mit Frau Alessandra das Hotel in die Zukunft.