Chamber of Commerce of Bolzano
Alexander Kiesswetter

Digitale Transformation - Phase 2

Die Eroberung neuer Märkte mittels Nutzen-Innovation

Die Zukunftsfähigkeit eines jeden Unternehmens beruht auf seiner Bereitschaft sich kontinuierlich weiterzuentwickeln. Auch die digitale Transformation im Unternehmen beginnt mit dem Bestreben, zunächst die operative Exzellenz in den bestehenden Geschäftsbereichen zu erreichen. Mit den freigewordenen Ressourcen können anschließend neue Geschäftsideen entwickelt werden.

Mit exponentiell wachsender Geschwindigkeit schreitet die technologische Entwicklung voran.  Wer den Nutzen von neuen technischen Möglichkeiten zur Weiterentwicklung seines Geschäftsmodells nicht erkennt, riskiert von der Konkurrenz überholt zu werden.  
Uber oder Airbnb haben uns gezeigt, wie mit technischer Innovation neuer Nutzen für den Kunden generiert werden kann. Mit ihren neuen Geschäftsideen haben sie bestehende Märkte radikal verändert.

Die technische Innovation eröffnet viele neue Möglichkeiten, aber ausschlaggebend bleibt immer der Nutzen für den Kunden. Denn dieser ist nicht bereit, für eine rein technische Innovation zu bezahlen, ohne einen konkreten Mehrwert für sich daraus zu beziehen. Beispielhaft hierfür ist das 1985 von Motorola entwickelte innovative Telefonsystem „Iridium“. Es funktionierte auf der ganzen Welt, aber leider nicht in Gebäuden und Autos und deshalb hatte es auf dem Markt kaum Absatz.

Dabei ist es nicht unbedingt notwendig, der Erste zu sein, der ein Kundenbedürfnis mittels technischer Innovation anspricht. Manchmal können auch bereits bestehende Technologien vollkommen anders angewandt werden. Ein Beispiel dafür ist das iPhone1, welches 2007 von Steve Jobs vorgestellt wurde. NTT DoCoMo hatte bereits 1999 ein Handy mit benutzerfreundlicher Anwendung für die Internetnavigation auf den Markt gebracht. Das iPhone1 schuf zusätzlich zum Prinzip der Einfachheit auch eine App-Marktplatz, auf dem jeder seine Applikationen zur Verfügung stellen konnte.

2007 war meines Erachtens der Startschuss für die aktuelle Digitalisierungswelle mit:

  1. unbegrenzter Konnektivität (mobile first - unabhängig von Zeit und Ort)
  2. Verfügbarkeit von kostengünstiger massiver Rechenleistung (Cloud)
  3. Verfügbarkeit von Daten (alles produziert/speichert Daten - IoT)

Heute mehr denn je sind diese Eigenschaften für die Digitalisierung von größter Wichtigkeit, aber wie findet das Unternehmen den notwendigen innovativen Nutzen für den Kunden?  

Da die Intuition nicht immer ein zuverlässiger Ratgeber ist, lohnt es sich, einem strukturierten Prozess zu folgen.  W. C. Kim und R. Mauborgne beschreiben in ihrem Buch „Der blaue Ozean als Strategie“   sechs mögliche Suchpfade, um außerhalb der etablierten Marktgrenzen neue Geschäftsfelder zu erkunden:

  1. Alternativbranchen: Ein Unternehmen konkurriert nicht nur mit anderen Unternehmen der eigenen Branche, sondern auch mit denen anderer Branchen, die alternative Produkte oder Dienstleistungen anbieten und den gleichen Kernnutzen bedienen. 1999 hat NTT DoCoMo zum Beispiel das erste internetfähige Handy auf den Markt gebracht. Es kombinierte die Vorteile des Handys (Mobilität, Sprachübertragung) mit jenen des damals noch stationären Internetzuganges (Mail, Informationsbeschaffung).
  2. Strategische Gruppen: Diese sind Marktsegmente mit einer ähnlichen Strategie in Bezug auf Preis und Leistung. So gibt es im Automarkt zum Beispiel das Segment der Luxusautos und das Segment der kraftstoffsparenden Kleinwagen. Man kann die Grenzen des eigenen Segmentes erweitern indem man die Faktoren, aufgrund welcher Kunden in das andere wechseln, in Betracht zieht. Tesla hat so zum Beispiel das gehobene Preisklassensegment mit dem umweltbewussten/innovativen Kundensegment erweitert.
  3. Käufergruppe: Vielfach sind die Erwerber des Produktes nicht die tatsächlichen Benutzer. Diese Gruppen definieren den Nutzen des Produktes unterschiedlich. Meistens ist jede Branche auf eine Käufergruppe fokussiert. Eine Betrachtung aller Käufergruppen ermöglicht hingegen eine Erweiterung der aktuellen Marktgrenzen. So war zum Beispiel die ursprüngliche Käufergruppe von Systemen von Finanznachrichten die IT-Manager. Bloomberg hingegen erstellte eine Software mit integrierten Analysefunktionen, welche sie direkt den Tradern anbot.
  4. Komplementäre Produkte: Oft wird der Nutzen der eigenen Produkte durch andere Produkte beeinflusst. Um eine neue Gesamtlösung zu definieren sollte in Betracht gezogen werden, was vor, während und nach der Benutzung des eigenen Produktes passiert. Beispielhaft für diese Strategie ist die Integration von Partnern bei der Onlinebuchung von Flügen des Unternehmens Ryanair. Dabei kann nicht nur der Flug, sondern auch gleich ein Parkplatz am Flughafen, sowie ein Auto oder Hotel im Ankunftsort gebucht werden.
  5. Funktionale oder emotionale Kaufmotive:
    1. Emotional orientierte Branchen bieten Extras, die zu höheren Preisen führen ohne die Funktionalität zu erhöhen. Zum Beispiel hat Body Shop, in einer emotional orientierten Kosmetikbranche, einen neuen funktionalen Markt als kostengünstiges Kosmetikhaus eröffnet.
    2. Funktional orientierte Branchen können neue Nachfrage wecken, indem sie Gefühle ansprechen. Zum Beispiel hat Swatch in der funktionalen Branche der preiswerten Uhren, seinen Markt erweitert indem eine emotionale Community geschaffen wurde.
  6. Nachhaltige Trends: Jedes Unternehmen sollte sich kontinuierlich fragen, wie das Auftauchen neuer Technologien den Markt verändern könnte. Ein Beispiel hierfür ist iTunes von Apple, welches die illegale Tauschbörse Napster ersetzte. Apple erkannte den Trend zum individuellen Musikkonsum und legalisierte ihn.

Es ist nicht möglich die Zukunft vorherzusagen. Trotzdem sollte jedes Unternehmen hin und wieder über die Grenzen des traditionellen Wettbewerbs hinausblicken. Hierfür sind ein strukturierter Prozess und eine innovationsfördernde Organisationsstruktur hilfreich.

Quellenangabe

  • Der blaue Ozean als Strategie ISBN 978-3-446-44676-2 by W. Chan Kim, Renèe Mauborgne
  • Ross, Jeanne W., Cynthia M. Beath, and Martin Mocker. 2019. Designed for Digital: How to Architect Your Business for Sustained Success. Cambridge, MA: MIT Press

zur Person

Alexander Kiesswetter ist selbstständiger Experte für Organisationsentwicklung.

Phase 1

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