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Die Wahrung des Familienvermögens
Der Generationenwechsel wird tendenziell mit einem Wechsel an der Spitze des Familienunternehmens assoziiert, wobei vor allem der Übergang des Eigentums eine wesentliche Rolle spielt.
Familienunternehmen sind weltweit die verbreiteste Form des Betriebseigentums. Über 60% der europäischen Unternehmen, 89% der Unternehmen in den USA und 45-70% der westasiatischen Betriebe sind Familienunternehmen. Laut jüngsten Studien werden im Schnitt 69% des Familienvermögens in das Unternehmen investiert, wobei dieser Wert in kleinen und mittleren Unternehmen exponentiell steigt. Die Unternehmen beschreiben den Generationenwechsel meist als einen langsamen und planmäßig anzugehenden Prozess; dennoch sehen sich viele Familienunternehmen erst beim Tod des Senior-Chefs plötzlich mit der komplexen Frage der Nachfolge konfrontiert.
Muss sich die Familie dabei zum ersten Mal auch mit dem Gedanken befassen, die Leadership vom Eigentum des Unternehmens zu trennen, wird die ganze Lage noch komplizierter. Eigentum und Geschäftsführung stimmen meist überein, wenn der Gründer das Unternehmen selbst führt. Beim Generationenwechsel könnte es jedoch zu einer Trennung dieser zwei Rollen kommen – vor allem, wenn es mehrere Erben gibt. Dabei könnten Familienmitglieder, die nicht zum Unternehmen gehören, Anteile desselben erben, während Unternehmensmitglieder, die nicht zur Familie gehören, aber einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung des Unternehmens geleistet haben, zu Geschäftsführern aufsteigen könnten. Bei einer solchen Konstellation ist es umso wichtiger, die unterschiedliche Dynamik in der Nachfolge einer Geschäftsführung und im Eigentum zu verstehen und rechtzeitig Strategien und Verfahren zu erkennen, mit denen diese komplexe Lage gelöst werden kann, ohne die besonderen Merkmale des jeweiligen Familienunternehmens zu vernachlässigen.
Die eigene Vergänglichkeit muss jedem bewusst sein
Bei schlagartigen Veränderungen, wie wir sie zurzeit erleben, stehen Unternehmerfamilien oft vor ganz neuen Szenarien. Plötzlich müssen sie auch unerwünschte Ereignisse in Betracht ziehen, die bisher aus Angst, Verbannung oder Vorurteil bei der Ausarbeitung der eigenen Strategien verdrängt wurden. Galt bisher der Unternehmer in vielen Familien als der „unsterbliche Superheld“, haben die jüngsten Herausforderungen im sanitären Bereich klar gezeigt, wie vergänglich wir sind; jeder von uns hat sich wahrscheinlich in dieser Zeit über die eigene Zukunft und die Zukunft der Familie Gedanken gemacht. Durch die Pandemie hat zudem auch die Digitalisierung einen starken Schub erfahren und zu mehr oder weniger einschneidenden Veränderungen im Alltag der Unternehmen geführt, wobei einige Seniorchefs nur mit Mühe die neuen Szenarien zu verstehen vermochten. Diese Änderungen und die Notwendigkeit, den Wirtschaftsaufschwung energisch anzugehen, haben viele Seniorchefs veranlasst oder gezwungen, die eigene Tätigkeit aufzugeben, oft auch vor dem eigentlich geplanten Zeitpunkt. Vor diesem Hintergrund ist es somit besonders wichtig, das Thema der Nachfolge und der verschiedenen Prozesse des Generationenwechsels im Eigentum und in der Betriebsführung anzugehen.
Ein Wechsel an der Führung ist für die Unternehmerfamilien aber auch immer ein guter Anlass, um über Alternativen zur traditionellen Nachfolge innerhalb der Familie nachzudenken und auch angesichts der Marktchancen und -herausforderungen angemessene Lösungen für die verschiedenen Szenarien zu finden. Sollten für die Betriebsführung keine Familienmitglieder aus der neuen Generation zur Verfügung stehen, die für die Betriebsübernahme geeignet sind bzw. Interesse daran haben, könnten die Eigentümer auch überlegen, familienexternen Betriebsbeschäftigten die Führung zu überlassen. In diesem Fall kann die Entscheidung, interne Manager zu beauftragen, die sich bereits im Betrieb bewährt haben, den Austritt der Familie aus der Betriebsverwaltung ohne Abtretung des entsprechenden Eigentums erleichtern. Besteht für das Unternehmen zeitgleich mit der Nachfolge auch der Bedarf, Strategie zu wechseln und sich neuen Märkten und/oder Bereichen zu öffnen, kann die Wahl externer Manager auch für den Zugang zu neuen Ressourcen, Kompetenzen und Verbindungen förderlich sein. Die Eigentümer sollten auch immer die Spaltung berücksichtigen, die eine Nachfolge mit mehreren Erben bewirken könnte, vor allem, wenn Familienmitglieder beteiligt sind, die nur wenig Interesse und/oder kaum Kompetenzen haben und so keinen konkreten Beitrag leisten können. Alternativen zur rein familieninternen Nachfolge sind auch der Eintritt von externen Gesellschaftern, die mit ihren Kompetenzen neues Leben in das Unternehmen bringen, bei besonders schwierigen Situationen auch der Verkauf oder sogar die Schließung des Unternehmens. Wichtig ist dabei, über den eigentlichen Wert des Familienunternehmens nachzudenken, der nicht nur finanzieller Art ist, sondern auch Wertvorstellungen der Familie betrifft, wie das Image oder die eigene Identität. Die aktuellen Umstände könnten der ideale Anlass für Unternehmerfamilien sein, mögliche Alternativen in Bezug auf die Nachfolge in der Führung und im Eigentum eingehender zu betrachten. Diese Überlegungen wirken sich direkt auf die Art und Weise und den Moment des Generationenwechsels aus. Zudem ist zu bedenken, dass besonders jetzt auch proaktiv gehandelt werden muss und es daher angemessene Entscheidungen braucht.
Die Ziele der Unternehmerfamilie
Die Ermittlung angemessener Lösungen und der dafür erforderlichen Prozesse geht von einer Analyse der Ziele der Unternehmerfamilie aus. Familienunternehmen unterscheiden sich von anderen Unternehmen, bei denen das Eigentum nicht auf eine Familie zurückzuführen ist, im mehr oder weniger ausgeprägten Willen, gemeinsam mit dem wirtschaftlichen Vermögen auch ein sozio-emotionales Vermögen aufrecht zu erhalten. Letzteres umfasst Beziehungen und Gefühle, welche die Familie mit dem Unternehmen verbindet, und gliedert sich in fünf Dimensionen: im Wunsch der Familie, eine Macht auszuüben und das Los des Unternehmens mitzubestimmen, in der Identifikation der Familie mit dem Unternehmen, in der Aufrechterhaltung eines starken Beziehungssystems, in der emotionalen Verbindung mit dem Unternehmen und in der Fortführung der Familiendynastie. Das bedeutet, dass strategische Entscheidungen in Bezug auf den Generationenwechsel in den Familienunternehmen nicht nur durch Gewinn und daher Aufrechterhaltung und Steigerung des wirtschaftlichen Vermögens bedingt sein können, sondern auch (vor allem) durch die Achtsamkeit und den Willen, das sozio-emotionale Vermögen zu wahren. Bei der Untersuchung der verschiedenen Möglichkeiten und des Wertes des Unternehmens an sich wäre eine Bewertung, die sich nur auf die finanziellen Aspekte beschränkt, völlig fehl am Platz, da hierbei die Einmaligkeit solcher unternehmerischen Entscheidungsprozesse völlig verkannt werden würde. Sozialwirtschaftliche Ziele können über finanzielle Ziele überwiegen und Familien zu Entscheidungen führen, die für jene, die diese Familiendynamiken nicht überblicken, schwer verständlich sind. Die Klarheit der Ziele, die sich die Eigentümerfamilie zu dem Zeitpunkt stellt, in dem sie das Thema des Generationenwechsels in der Führung und im Eigentum angeht, ist sehr wichtig, da sie zu sehr unterschiedlichen Auslegungen der Ergebnisse der Nachfolge führen kann. So könnte zum Beispiel die Entscheidung einer Familie, in einem schwierigen Moment keine externen Gesellschafter aufzunehmen, unter dem unternehmerischen Aspekt falsch erscheinen; sie wird aber verständlicher, wenn man den Willen der Familie berücksichtigt, die Kontrolle über das Unternehmen zu wahren. Ebenso könnte der Verkauf des Unternehmens als eine misslungene Nachfolge angesehen werden. Berücksichtigt man jedoch den Willen der Familie, den Wert des Familienerbes zu wahren und den jungen Generationen die Möglichkeit zu geben, ihren eigenen Interessen und unternehmerischen Begabungen nachzugehen, so schaut die Sache schon ganz anders aus.
Es gilt, die Ziele der älteren Generation mit jenen der jüngeren Generation sowie zwischen den Familienmitgliedern selbst zu verbinden und so die Zielsetzungen des Familienunternehmens besser zu definieren. Oft haben die Familienmitglieder unterschiedlicher Generationen auch in Anbetracht der eigenen Lebensphasen unterschiedliche Vorstellungen in Bezug auf das Familienvermögen, das auch das Unternehmen umfasst. Die älteren Generationen sind tendenziell vom Blick auf die Vergangenheit geprägt, in der es ihnen gelungen ist, das Unternehmen aufzubauen; daher fürchten sie sich auch vor einer Zukunft, in der sie weniger im Mittelpunkt stehen. Andersrum sind die jungen Generationen auf die Zukunft ausgerichtet und möchten daher einen eigenen Weg gehen, um wichtige Zeichen zu setzen und die eigenen Ideen losgelöst von alten Vorstellungen entwickeln zu können. Umso wichtiger ist es, die persönlichen Bedürfnisse, die Beziehungsmechanismen und die zeitliche Dynamik des Beziehungsgeflechts zwischen Familie und Unternehmen zu verstehen, um Lösungen zu finden, welche die Werte der zwei Systeme Familie/Unternehmen nachhaltig wahren können. Eine Untersuchung der familiären, generationsinternen oder generationsübergreifenden Beziehungen und der unterschiedlichen Ziele, welche die einzelnen Personen innerhalb des Unternehmens und der Familie anstreben, ist für einen harmonischen Generationsübergang unabdingbar, der die Werte der Unternehmerfamilie aufrechtzuerhalten und nachhaltig zu übertragen vermag.
Autoren
Alfredo De Massis und Vittoria Magrelli, Freie Universität Bozen, Centre for Family Business Management
Dieser Fachbeitrag ist im Zuge einer Zusammenarbeit zwischen der Freien Universität Bozen – Centre for Family Business Management und der Handelskammer Bozen entstanden.