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Ballottierungsurnen
Einmal im Jahr, genauer gesagt Ende August anlässlich des Bartholomäusmarktes, wählte der Merkantilmagistrat von Bozen die sechs Richter des Handelsgerichtes. Aufgabe der Richter war es, während der Jahrmärkte Streitigkeiten zwischen Kaufleuten zu schlichten. Sie mussten schnell und unbürokratisch Lösungen finden und gerechte Schadenersatzzahlungen bei Betrug, Verzögerungen in den vereinbarten Zahlungen, Lieferungen von nicht auftragsgerechten Waren usw. festlegen. Eine Besonderheit dieses Gerichts war, dass die Richter selbst Kaufleute waren: Sie wurden aus der Liste lokaler und ausländischer Händler gewählt, die einen gut Ruf haben, wirtschaftlich solide und seit mindestens zwei Jahren bei den Bozner Jahresmärkten vertreten sein mussten.
Wie wurden die Richter jedoch gewählt? Die Vorzugsstimmen wurden in Wahlurnen gesammelt, auch Ballotierungsgeräte genannt, ähnlich wie jene, die für die Wahl des Dogen in Venedig verwendet wurden. Erfunden hatte sie ein Mönch im Jahr 1492. Auf Anordnung des sogenannten Rates der Zehn mussten alle Gerichte Venedigs mit diesen Urnen wählen, um die geheime Stimmabgabe zu ermöglichen. Die Urne bestand aus zwei Behältern: Die Mitglieder des Großen Rates steckten die Hand durch eine dafür vorgesehene Öffnung und legten die Kugel (auf Italienisch auch „ballotta“ genannt) in den roten oder in den weißen Behälter, wenn sie zugunsten des Kandidaten stimmen wollten, bzw. in den grünen Behälter, um gegen den Kandidaten zu stimmen. Von außen war nichts von alledem zu sehen. Die Urne wurde dann geöffnet und die Kugeln der Ja- und Neinstimmen in zwei große Tableaus geschüttet und dort gezählt. Auf dieselbe Weise wurden auch die Äbtissinnen in einigen Klöstern gewählt.
Die Ballotierungsurnen, die im Merkantilmuseum ausgestellt sind, zwei aus Holz und zwei aus Metall, sind zylinderförmig und miteinander verbunden; eine trägt die Aufschrift JA und die andere die Aufschrift NEIN. Beide tragen das Wappen des Merkantilmagistrats. Auf einem der Behälter befindet sich eine Öffnung, durch die die Kugel gesteckt wurde. Nach der Abstimmung wurden die Griffe von den Zylindern abgeschraubt, um die Zylinder zu entleeren und die Kugeln zu zählen. In unseren Archiven haben wir weitere Nachrichten gefunden: Im Rechnungsbuch des Merkantilmagistrats scheinen für den Mittfastenmarkt von 1747 Ausgaben in Höhe von 16 Gulden für zwei Urnen und vier bemalte Holzschalen für die Abstimmungen auf. Vielleicht handelt es sich genau um die Urnen, die hier ausgestellt sind?
Leider wissen wir nicht, ob es genau diese Urnen sind. Wir können uns jedoch sehr gut vorstellen, wie die Kaufleute in feierlicher Stille im Ehrensaal des Merkantilgebäudes auf die Verheißung der Namen der Kandidaten durch die amtierenden Richter warteten und anschließend die Urne durch die Reihen getragen wurde, damit jeder Kaufmann die eigene Kugel in die Urne fallen lassen konnte.